Sich
zu langweilen ist ein hervorragendes Meßinstrument. So
manches in der Debatte über Sponsoring und Mäzenatentum,
über die "neuen" Wege der Zusammenarbeit zwischen
Wirtschaft und Wissenschaft ist langweilig. Die Künstler -
so scheint es zumindest - haben es da leichter. Sie haben
Produkte - Bilder, Plastiken, Installationen und
Performances, die, wenn sie gut sind, Ungewohntes auf- und
auf Neues hinweisen. Doch die Wissenschaftler, was haben sie
anzubieten? Sofern sie Naturwissenschaftler und Ingenieure
sind liefern sie Grundlagen technischer Innovationen, doch
dies sind etablierte, gut ausgebaute, wenn vielleicht auch
oft sehr enge Wege? Und die anderen, die
Geisteswissenschaftler? Gewiß, da gibt es die bisherigen
Üblichkeiten, die Gutachten und Exposés, die
wohlfundierten Berichte und umfassenden Studien, doch neue
Wege? Der unklaren Gedanken sind viele und die Phantasie
regrediert zum Zweckoptimismus.
Die
Wissenschaft und die Wissenschaftler brauchen Geld jenseits
staatlicher Förderung. Die Ökonomie definiert sich als
Tausch von Werten. Welche Werte können Wissenschaftler
(neben der Lehre und den möglichen technischen Anwendungen)
produzieren, um das notwendige Geld zur weiteren
Wissensproduktion zu bekommen? Und wie läßt es sich
vermeiden, daß aus dem zu offensichtlichen Anbieten ein
Anbiedern wird?
Die
Wirtschaft braucht Kreativität und Innovationen. Und sie
braucht die Wissenschaft und die Kunst, nur ein
ökonomischer Solipsist könnte dies bestreiten. Die
Wissenschaft und die Kunst definieren sich auch über
Zeiträume, die frei von unmittelbarer Anwendung und
Darstellung sind. Jeder ernstzunehmende Wissenschaftler und
Künstler ist (häufig implizit) mit den, die Kreativität
und Innovationen fördernden Kontexten vertraut; er weiß
jedoch auch, daß der kreative Akt nicht deduziert werden
kann wie das Ergebnis eines mathematischen Beweises. Werte
(auch ökonomische) entstehen innerhalb eines
Relationsnetzes von Dingen und Menschen. Werte sind
gewissermaßen Abstraktionen dieser Kontextgefüge, die
explizit verglichen, getauscht oder bekämpft werden. Werte
aus dem Kontext der Wissenschaften sind spezifische
Informationen und Funktionskompetenzen, deren
Anwendungsmöglichkeiten häufig offensichtlich sind. Es
sind bisher meist diese Werte, die für Forschungsgelder
getauscht werden. Dieser explizite Tausch von
Wissensprodukten und -kompetenzen gegen
Forschungsfinanzierung ist unverzichtbar und wird sicher
noch lange die Zusammenarbeit von Wirtschaft und
Wissenschaft dominieren. Was sind jedoch darüber hinaus die
Stärken der Wissenschaft?
Dazu
ein Beispiel. Die Ludwig-Maximilians-Universität München
hat vor etwa einem Jahr ein Humanwissenschaftliches Zentrum
(HWZ) begründet, in dem Forscher aus den Natur-, Geistes-
und Sozialwissenschaften und der Medizin zusammenwirken. Es
werden Projekte durchgeführt, die den Wissenstransfer
zwischen den Disziplinen fördern und damit häufig neue und
interessante Fragen hervorlocken. "Den Stab am anderen
Ende aufnehmen", diese Bezeichnung von Thomas Kuhn für
einen Paradigmenwechsel ist keine geringe Herausforderung
für die Vertreter des in München in 20 Fakultäten
zerteilten universitären Wissens. Die Kooperation mit
Wissenschaftlern anderer Fakultäten als der eigenen ruft
häufig Unsicherheit, das Gefühl des Dilettantismus und
Profilierung durch Abgrenzung hervor. Nicht alle eignen sich
dazu, diese Hindernisse zu überwinden. Dabei bietet gerade
die interdisziplinäre Zusammenarbeit die Chance, sich der
fachlichen Verankerung des eigenen Wissens zu versichern und
sie zu vertiefen. Daneben tritt im Idealfall ein
Orientierungswissen, die Visualisierung einer geistigen
Landkarte, in dem das Wissen der eigenen Zunft verortet
werden kann. Ein solches Orientierungswissen zusammen mit
dem jeweils spezifischen Wissen kann den Blick für die
Struktur des Wissens selbst schärfen und damit die
Vermittlung von Wissen erleichtern. In einer Gesellschaft,
die schon längst nicht mehr eine Informations- sondern eine
Wissensgesellschaft ist, ist eine solche Förderung von
Strukturwissen neben dem rein inhaltlichen Wissen mehr als
notwendig.
Mitglieder
des Zentrums sind nicht nur Forscher der Universität
München, sondern sie kommen auch von anderen Universitäten
und Institutionen aus dem In- und Ausland. Trotz der kurzen
Anlaufzeit kooperiert das HWZ bereits mit Instituten und
Firmen aus China, Indien, Israel, Japan, Korea, Polen und
den USA. Über die Wissenschaften hinaus gibt es gemeinsame
Projekte mit Vertretern der Wirtschaft, den Medien und auch
den Künsten.
Aus
der Erfahrung mit dem Aufbau und der Organisation des
Humanwissenschaftlichen Zentrums lassen sich exemplarisch
Hinweise auf neue Wege der Zusammenarbeit von Wirtschaft,
Wissenschaft und Kunst ableiten. Zunächst sei eine
Möglichkeit genannt, die so offensichtlich ist, daß man
sie kaum mehr wahrnimmt. Globalisierung bedeutet auch
weltweite Begegnungen und Vernetzungen von Menschen. Es gibt
unzählige Ratgeber, wie zum Beispiel der Geschäftspartner
in Asien zu behandeln ist, wie Kontakte aufgebaut werden
können. Dabei wird vergessen, daß es einen Bereich gibt,
in dem diese so wichtigen professionellen Netze zwischen
Menschen bereits existieren, nämlich in der Wissenschaft.
Wissenschaftler sind schon lange natürliche Botschafter
ihrer Heimatländer. Einem Mitglied einer Universität sind
die Türen anderer Universitäten in der Welt in der Regel
nicht verschlossen. Dieses Netz der Wissenschaftler mit
Offenheit und Phantasie zu nutzen, kann zu den
interessantesten neuen Fragestellungen und Vernetzungen
führen und (wie es das HWZ in Japan praktiziert) den
Transfer zwischen Wissenschaft und Wirtschaft ermöglichen.
Globalisierung
in menschlicher Weise kann weder extreme Homogenisierung
noch extreme Mobilität bedeuten. In der
Menschheitsgeschichte haben sich unabhängig voneinander
verschiedene kulturelle Systeme entwickelt. Das HWZ betreut
das weltweit einmalige Filmmaterial über Steinzeitkulturen
des Humanethologen Eibl-Eibesfeldt und plant zusammen mit
russischen Wissenschaftlern eine Dokumentation sibirischer
Kulturen. Aus diesen Kulturexperimenten der Menschheit
können wir lernen, was uns Menschen eint und was uns
trennt. Es gibt anthropologische Universalien, die allen
Menschen gemeinsam sind und sich – wenn überhaupt – nur
sehr langsam verändern lassen. Und es gibt kulturelle
Spezifika, die immer auch lokal verortet sind und sich nicht
in eine Einheitskultur einordnen lassen. Studien über
menschliche Konstanten und interkulturelle Verschiedenheiten
liefern Grundlagenwissen für die politischen und
wirtschaftlichen Interaktionen weltweit.
Das
explizite Wissen um die Struktur des eigenen Wissens und die
Verortung in der Wissenslandschaft thematisieren
paradoxerweise das einer Disziplin zugrundeliegende
implizite Handlungswissen. Dieses implizite Handlungswissen
repräsentiert jedoch das Gefüge von Relationen, aus dem
das explizite Wissen entsteht. Diese Kontextnetze werden
damit zugänglich. Da sie die Basisstrukturen der Werte
bilden, die ausgetauscht und damit auch ökonomisch
beziffert werden können, hat dies weitreichende
Implikationen für Politik und Wirtschaft.
Das
Wissen über die Wissensnetze innerhalb von Disziplinen,
zwischen Disziplinen und zwischen den verschiedenen
Teilkulturen der modernen Gesellschaften ist ein neues
Wissensprodukt. Ein Produkt jedoch, das so eng mit seiner
Praxis verbunden ist, daß aus ihm etwas erwachsen könnte,
was in der Diskussion über die notwendige Kooperation von
Wirtschaft und Wissenschaft häufig fehlt, nämlich der
Respekt vor den Methoden des jeweils anderen Bereichs.
Wirtschaft und Wissenschaft praktizieren verschiedene
Methoden und stehen unter jeweils anderen Randbedingungen.
Gegenseitige Respektlosigkeit in dieser Hinsicht führt zu
der Karikatur des Unternehmers, der vom Wissenschaftler
sofortige, umsetzbare Resultate fordert und des
Wissenschaftlers, der eine bornierte, absolute Freiheit der
Wissenschaft für sich einklagt. Respekt – so altmodisch
dieses Wort heute klingen mag - vor den mitunter sehr
verschiedenen Wissens- und Handlungsbedingungen im
Wissenschafts- und Wirtschaftsbereich ist ein Wegweiser in
Neues.
In
der Verbindung von Wirtschaft und Kunst scheint sich dieses
Neue schon seit einiger Zeit anzubahnen. Das Interesse der
Wirtschaft gilt nicht mehr nur dem eingekauften Kunstwerk
als Darstellungsobjekt, sondern auch der Anregung und
Öffnung der eigenen Mitarbeiter durch Kunstwerke und
Künstler. Gegenwärtig ist jedoch auch das zunehmende
Interesse der Künstler an den Wissenschaften bemerkenswert.
Diese Entwicklung greift das HWZ unter anderem durch ein
neues, weltweites Projekt auf, in dem Künstler
wissenschaftliche Institute in allen Erdteilen besuchen
werden. In der Verbindung von Kunst und Wissenschaft liegt
Spannung und entwickelt sich Spannendes. Dies geht weit
über die Neugier der Künstler auf die Inhalte der
Forschung hinaus. Die Struktur der kreativen Akte der
Künstler und Wissenschaftler sind ähnlich. Das Erspüren
der Kreativität des Anderen ist eine Herausforderung an die
Kreativität im Eigenen. In der Erotik des Zusammenspiels
von Kunst und Wissenschaft liegt eine große Chance für die
Gesellschaft, der Beginn der Auflösung der
Kompartimentierung in Teilkulturen. Ein neues Zusammenwirken
der "Teile" bahnt sich an, das nicht auf der
kühlen Forderung des Verstandes nach Verständigung beruht,
sondern aus der unmittelbaren Kunst- und Wissenschaftspraxis
herauswächst. Das Netz des Wissens als Produkt und als
Praxis hat Zukunft.