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Gegenwart in Bilder gefaßt
Und
die Kunst? Die Allianzen zwischen Kunst und Geld sind alt. Früher waren es
Könige, die sich Hofmaler, -poeten und -narren hielten. Diese alte Form des
Mäzenatentums heißt heute Sponsoring. Das bekannteste Sponsoring hierzulande
ist die von Werner Lipperts „Projects" beförderte Verbindung von Boss
und dem Guggenheim Museum. Aber auch in den Hamburger Kammerspielen mimen
Schauspieler zwischen den Aufzügen Zigarettenwerbung. Und jede größere Bank
leistet sich eine Kulturstiftung. Das
sind Vernunftehen zwischen Wirtschaft und Kunst, von denen beide profitieren.
Die Kunst ist die Braut, die sich aushalten läßt und mit dem Geld des Gatten
schöne Sachen macht. Der Bräutigam sonnt sich im sozialen Glanz. In die Kunst
zu investieren, das ist mindestens genauso chic wie für die Dritte Welt oder
den Tierschutz zu spenden. -
Die Werbung liefert die luzideste
Selbstbeschreibung der postmodernen westlichen Mediengesellschaft Bret
Easton Ellis' Roman „American Psycho" entwirft ohne Zweifel das
prägnanteste, kälteste und schonungsloseste Panorama des ausgehenden 20.
Jahrhunderts.In Deutschland ist dieses Meisterwerk indiziert. Angeblich wegen
Sittenwidrigkeit, tatsächlich wahrscheinlich wegen seiner unangenehmen
Wahrheiten. Ellis' Held Pat Bateman, ein erfolgreicher Wall Street Broker, ist
ein psychopathischer Massenmörder, der jede ethische Orientierung verloren hat.
Daher erstens die ideelle Positionsbestimmung: „Sex
ist Mathematik. Individualität ist kein Thema mehr ... Gerechtigkeit ist tot.
Furcht, Anklage, Unschuld, Mitleid, Schuld, Verschwendung, Niederlagen waren
Dinge, Gefühle, die niemand mehr wirklich empfand ... Gott gibt es nicht. Liebe
ist Betrug. Oberfläche, Oberfläche, Oberfläche ist alles, dem jemand
Bedeutung zumißt.." Dennoch
gehört Bateman einer Glaubensgemeinschaft an, der der Markenfetischisten. Er
betet zu Bill Blass, Brizoni und Boss. Daher zweitens die materielle
Positionsbestimmung: „Vasen und Fedoras mit Federhutband und Kosmetikkoffer
aus Krokoleder ... und Skibrillen im Porsche-Design und Apothekenflaschen und
Diamant-Ohrringe und Wodka-Gläser und Visitenkartenetuis und Kameras und
Mahagonitabletts... und Keksdosen aus Keramik und Schuhanzieher für zweihundert
Dollar und Rucksäcke und Lunchboxen aus Alluminium und Kissenbezüge..." Wenn
die Welt nur Oberfläche und Shopping-Mall ist, dann bieten allein Markennamen
und Luxusprodukte Orientierung und Identität. Weil der Himmel leer ist, sind
die Läden voll. Happy Consuming. Bolz
zufolge bedient die Werbung gleich zwei theologische Modelle. Zum einen
rechtfertigt sie wie die Theodizee die Welt und ihre Übel, zum anderen eifert
sie dem großen missionarischen Gedanken des Christentums nach, der Verbreitung
der einen wahren Religion. Aber
zumindest seit der Romantik kam auch der Kunst eine religiöse Ersatzfunktion
zu. Nachdem Kant Gott aus dem bestirnten Himmel über uns verwiesen hatte,
entwickelten die Romantiker die Idee der Kunstreligion. Das menschliche Genie
tritt an die Stelle des Schöpfers. Und seine Werke rechtfertigen das Dasein.
Historisch betrachtet, ist Werbung eine der letzten und säkularsten
Ersatzdrogen für das religiöse Opium. In
Horkheimer/Adornos „Dialektik der Aufklärung" finden sich folgende
prägnante Sätze: „Reklame wird zur Kunst schlechthin, mit der Goebbels sie
ahnungsvoll in eins setzte, l'art pour l'art, Reklame für sich selber..."
Natürlich klingt da noch der gute, alte, kulturkritische Ton durch: Werbung ist
das Böse, die kapitalistische Manipulation des eigentlich kritischen
Bewußtseins. Die Einsicht aber stimmt: Reklame ist l'art pour l'art, PR ihrer
selbst. Längst
ist der einstige Pausenfüller Werbung zum Programm geworden. Gottschalk
präsentiert Dauerwerbsendungen. Cannes prämiert die besten Filmrollen. Selbst
Wim Wenders finanziert seine gesellschaftskritischen Filme durch Product
Placement. „Die dicksten Dinger" (ehemals „Hotzpotz")
heißt bei RTL 2 jene Sendung, die nur Werbung bringt. Werbung
wirbt für keine Produkte mehr, sondern für sich selbst. Erfolgreich im Sinne
ihres Auftraggebers ist sie, wenn es ihr gelingt, das Lebensgefühl und das
Begehren ihrer Adressaten zu spiegeln, zu beschreiben, oder besser: zu erfinden.
Norbert Bolz hat deswegen völlig recht, wenn er mit Blick auf die postmoderne
Mediengesellschaft schreibt: „Werbung ist die schlüssigste Selbstbeschreibung
unserer Kultur". Von
Hegel stammt die Definition, Philosophie sei ihre Zeit in Gedanken gefaßt.
Werbung ist ihre Zeit in Bilder gefaßt. Wenn dem so ist, dann ist Werbung
vielleicht die Philosophie der Gegenwart. |